In keinem Lehrbuch steht, dass ein Herzinfarkt bei afab-Personen (assigned female at birth) anders aussehen kann. Medizinische Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden ignoriert – als sei Medizin für alle Menschen gleich. Genau deshalb schreibe ich diesen Artikel. Gendermedizin wird in Ausbildungen im Gesundheitswesen kaum behandelt, obwohl wir gerade in der Pflege täglich Menschen mit ganz unterschiedlichen Körpern, Identitäten und Lebensrealitäten begegnen. Besonders queere Personen und FLINTA* stehen dabei oft hinten an. Warum? Weil medizinisches Wissen noch immer stark auf cis Männer ausgerichtet ist – und viele Medikamente an amab-Personen (assigned male at birth) getestet werden, obwohl afab-Personen ganz andere Nebenwirkungen haben. Ein Beispiel: Die Antibabypille für Männer wurde nicht zugelassen – wegen Nebenwirkungen wie Libidoverlust. Dagegen Nebenwirkungen, die bei afab-Personen seit Jahrzehnten als «zumutbar» gelten: Depressionen, Lungenembolien, Thrombosen. Verhütung wird also nicht für alle gleich gedacht, auch wenn sie alle etwas angeht. Gendermedizin ist längst nicht umfassend erforscht. Krankheitsbilder bei trans und nicht-binären Personen werden oft viel zu spät erkannt, weil sie in der medizinischen Ausbildung kaum vorkommen. Eine US-Studie¹ von Jackson und weiteren Autor*innen zeigt zum Beispiel, dass trans Personen tendenziell später eine Krebsdiagnose erhalten, seltener behandelt werden und eine geringere Überlebenschance haben als cis Personen. Auch viele Lehrpläne in Fächern wie Urologie oder Gynäkologie hinken der Realität hinterher. Und das hat Folgen: Menschen werden falsch behandelt oder gar nicht.

Pflege ist bunt, aber oft fehlt die Offenheit

Weitere Beispiele dafür, wie wichtig Gendermedizin ist, gibt es viele. Körper reagieren unterschiedlich auf Medikamente, je nach Hormonhaushalt, Organstruktur oder medizinischer Vorgeschichte. LGBTQIA+-Personen existieren laut, aber auch leise, und erleben noch immer Stigmatisierung, nicht nur im Alltag, sondern auch im Gesundheitswesen: 90% der Community erlebt hier Diskriminierung. Das reicht von verbalen und körperlichen Übergriffen bis zur Verweigerung medizinischer Behandlung. Besonders trans und gender-nonkonforme Menschen sind betroffen. Diese Stigmatisierung führt zu Minderheitenstress, der die psychische und körperliche Gesundheit belastet. Pflegekräfte und Gesundheitsdienstleister*innen haben eine Schlüsselrolle: Sie können durch Offenheit, Aufklärung und Empathie Barrieren abbauen und eine sichere Versorgung schaffen. Ich kenne viele queere, nicht-binäre und trans Menschen, die in der Pflege arbeiten. Sie erleben täglich Diskriminierung, ob im Spital oder der Berufsfachschule. Dabei braucht es jede helfende Hand in der Pflege, egal welche Identität, Hautfarbe oder welches Geschlecht. Aus eigener Erfahrung in der Pflege weiss ich auch, dass ältere Pflegekräfte mit viel Erfahrung mit trans und nicht-binären Realitäten queerfeindliche Meinungen vertreten können.

Queere Gesundheit: ein Überblick

Damit ihr einen besseren Einblick bekommt, worum es in der Gendermedizin konkret geht, gebe ich euch einen kleinen Überblick über einige Krankheitsbilder. Die Erklärungen sind bewusst kurzgehalten und dienen nur zur Orientierung, nicht zur Selbstdiagnose.

Harnwegsinfekt

Brennen beim Wasserlassen, häufiges Wasserlassen, Unterbauchschmerzen. Afab-Personen haben wegen ihrer kürzeren Harnröhre ein höheres Risiko. Trans Männer sind durch die Einnahme von Testosteron anfälliger, da die Schleimhäute im Intimbereich trockener werden. Anatomische Besonderheiten nach geschlechtsangleichenden Operationen können auch wiederkehrende Infekte fördern. Es ist kaum Forschung dazu vorhanden.

Endometriose

Gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe wächst ausserhalb der Gebärmutter etwa an Blase, Darm, Lunge oder anderen Organen. Die mögliche Folge: starke Regelschmerzen, Schmerzen beim Sex, Verdauungsprobleme, oft auch Unfruchtbarkeit. Afab-Personen erhalten ihre Diagnose oft sehr spät, weil ihre Beschwerden häufig als «übertrieben» oder «normale Regelschmerzen» abgetan werden.

Herzinfarkt

Symptome wie Übelkeit, Oberbauchschmerzen, extreme Müdigkeit sind bei afab-Personen häufiger als die klassischen «Brustschmerzen». Dennoch orientieren sich viele Diagnosen an cis-männlichen Symptomen.

Prostataerkrankungen

Prostata bleibt für trans Frauen relevant; Hormontherapien senken das Krebsrisiko, doch die Prostata bleibt ein relevanter Gesundheitsfaktor. Queersensible Aufklärung und Forschung fehlen. Prostataerkrankungen betreffen nur amab-Personen.

Zukunft für das Gesundheitswesen

Es braucht mehr Aufklärung. Mehr Einfühlungsvermögen. Mehr Zuhören. Das Gesundheitswesen braucht queere Perspektiven und wir brauchen eine Medizin, die niemenschen vergisst. Unsere Generation bringt neue Sichtweisen mit. Ob in der Pflege, Medizin, Therapie oder Beratung: Wir können mitgestalten, wie die Gesundheitsversorgung von morgen aussieht. Denn Medizin sollte alle Menschen im Blick haben, nicht nur cis Männer. Abschliessend lässt sich sagen: Es braucht mehr Wissen zu Gendermedizin und genderqueeren Realitäten, damit es Fortschritte gibt, keine Rückschritte.


Content Tipps

Filmtipp: Die Heldin

Zeigt eindrucksvoll, wie schwer es Pflegekräfte haben und wie wichtig sie für die Gesellschaft sind.Fazit: 9/10 Sternen, emotional, ehrlich, sehenswert! 

Buchtipp: Pflege von LGBTQ+ Personen

Ein praxisnahes Fachbuch über diversitätssensible Pflege. Fazit: 8/10 Sternen.

Buchtipp

@annaadamyan berichtet auf Social Media und in ihrem Buch «In der Regel bin ich stark» sehr offen über ihr Leben mit Endometriose


¹ Erwähnte Studie: «Cancer Stage, Treatment, and Survival Among Transgender Patients in the United States»

 

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